Die Anfänge der Kosmologie
Die Kosmologie – also die Lehre von dem Anfang, der Entwicklung und der Struktur des Universums – hat ihren Ursprung bei den vorsokratischen Naturphilosophen. Bei z.B. Thales, Anaximander und Anaximenes (alle 6. Jh. v. Chr.) wird das Universum zum Kosmos – einer Welt, die durch allgemeine Ordnungsprinzipien strukturiert ist. Das Neue der Vorsokratiker: Es wird nicht nur nach einer Beschreibung (und Prognose) der Himmelsphänomene gesucht, sondern nach zugrundeliegenden und die Realität wiedergebenden Modellen, die diese Phänomene erklären können. Ein Beispiel: Nach Anaximander ist die (zylinderförmige) Erde von mit Feuer gefüllten Schläuchen umgeben, die an porösen Stellen den Blick auf das Feuer freigeben und uns so als auf Kreisbahnen rotierende Planeten erscheinen – und eine Sonnenfinsternis z.B. entsteht dann, wenn die entsprechende Pore „verstopft“ ist. Das in Schulen noch heute oft fälschlicherweise als Vorstellung des Mittelalters unterrichtete Modell der auf dem Wasser schwimmenden Erdscheibe, über der sich halbkugelförmig der Himmel wölbt, findet sich bei Thales und Anaximenes – danach wird es schon verschwinden.
Die Abkehr von der Scheibengestalt der Erde
Mit Pythagoras (ca. 570-495 v. Chr.) erhält die Kugelgestalt der Erde Einzug in die griechische Kosmologie. Dies geschieht vorerst noch aus reinen Vollkommenheitsgründen und nicht aus physikalischen Überlegungen. Das wird erst Aristoteles leisten. Vollkommenheitsprinzipien – vorwiegend mit der Kreis- und Kugelform verbunden – spielten in der griechischen Kosmologie über weite Strecken eine fundamentale Rolle, sehr oft auch (wie z.B. bei Pythagoras) verbunden mit einer enormen Wertschätzung der Mathematik, die als Ordnungsgeber des Kosmos verstanden wurde. Der in der Nachfolge von Pythagoras stehende Philolaos (ca. 470-385 v. Chr.), der annahm, dass unsere Erde (wie die übrigen Planeten und die Sonne) um ein für uns unsichtbares Zentralfeuer kreist, ging z.B. aus Symmetriegründen von einer (ebenfalls unsichtbaren) zweite Erde (Gegenerde) aus, die sich stets auf der gegenüberliegenden Seite hinter dem Zentralfeuer befindet.
Erster Höhepunkt: Das eudoxische Sphärenmodell
Eine der großen Leistungen der griechischen Antike ist das Sphärenmodell von Eudoxos (ca. 390-337 v. Chr.), das erstmals eine Erklärung der rückläufigen Schleifenbewegungen der Planeten erlaubt. Das eudoxische System besteht (mit der Erdkugel im Mittelpunkt) aus insgesamt 27 konzentrischen Sphären. Es wird dem im Umfeld von Eudoxos und Platon (428/427-348/347 v. Chr.) aufkommenden und unter pythagoreischen Einflüssen stehenden Leitbild der „Rettung der Phänomene“ gerecht, indem die empirisch wahrnehmbaren (ungleichförmigen) Bewegungen der Himmelskörper auf aus Vollkommenheitsgründen geforderte gleichförmige Kreisbewegungen zurückgeführt werden.
Durch eine unterschiedliche Wahl der jeweils gleichförmigen Geschwindigkeiten der Sphären und durch eine unterschiedliche Orientierung der Rotationsachsen ist es durch Überlagerungen der Bewegungen möglich, Planetenanomalien wie die Hippopede (eine Kurve in Form einer liegenden 8) zu erklären. Allerdings muss dieses mathematische Modell für jeden Planeten einzeln aufgestellt werden und ist somit nicht geeignet, als realistisches physikalisches bzw. kosmologisches System zu dienen, wodurch eine folgenreiche Trennung zwischen einer mathematischen Astronomie, die mit nur instrumentalistisch verstandenen Modellen die Phänomene am Himmel zu rekonstruieren versucht, und einer physikalischen Kosmologie, die die tatsächlichen Strukturen des Kosmos zu ergründen versucht, eingeleitet wird.
Aristoteles: Das bis zur Neuzeit angenommene kosmologische Modell
Aristoteles (384-322 v. Chr.) erweitert das eudoxische Modell auf 55 Sphären, um auf diese Weise ein realistisch interpretierbares Modell, das alle Phänomene zugleich beschreiben kann, zu erlangen. Er unterscheidet den Kosmos in zwei Bereiche – den sublunaren Bereich unterhalb der Mondsphäre und den supralunaren Bereich ab und oberhalb der Mondsphäre.
Der sublunare Bereich ist von den vier Elementen geprägt: Erde und Wasser (jeweils schwer) sowie Luft und Feuer (jeweils leicht). Die schweren Elemente streben ihrem inneren Antrieb nach geradlinig zum Weltmittelpunkt, die leichten geradlinig zur Peripherie. Daraus ergibt sich als Konsequenz der Physik die von Wasser umgebene kugelförmige Erde im Mittelpunkt des Universums (das Element Erde ist nach Aristoteles noch schwerer als Wasser).
Der sublunare Bereich ist unvollkommen und durch ständigen Wandel gekennzeichnet. Den supralunaren Bereich bestimmt das fünfte Element – die Quintessenz bzw. der Äther. Die natürliche Bewegung hier ist die Kreisform und dieser Bereich des Kosmos ist von Vollkommenheit geprägt und (bis auf zyklische Wiederholungen) unveränderlich. Das Universum ist begrenzt und hat keinen Anfang. Die aristotelische Kosmologie galt (mit nur geringen Modifikationen) knapp 2000 Jahre lang.
Das ptolemäische Modell
Das von Eudoxos mathematisch aufgestellte und von Aristoteles verfeinerte und physikalisch untermauerte Modell erlaubte zwar die Erklärung der periodischen Schleifenbewegungen der Planeten, aber dennoch konnten weitere Phänomene nicht mit dem System in Einklang gebracht werden, darunter die Helligkeitsschwankungen der Planeten und die scheinbare Veränderung des Monddurchmessers. Claudius Ptolemäus (ca. 100-170) schuf nach Vorarbeiten von Apollonius von Perge (ca. 240-170 v. Chr.) und Hipparchos von Nikaia (ca. 190-125 v. Chr.) ein geometrisch hochkomplexes Modell, das nahezu sämtliche Planetenbahnen exakt beschreiben und diese Probleme beheben kann.
Hier finden u.a. Epizykel (Kreise, die ihren Mittelpunkt auf anderen Kreisen haben), ein geometrischer Mittelpunkt außerhalb der Erde (Exzenter) und ein separater Ausgleichspunkt (Äquant), von dem aus das eudoxisch-platonische Axiom der Gleichförmigkeit erreicht wird, Verwendung. Wenngleich Ptolemäus an der aristotelischen Physik festhalten möchte, ist ihm klar, dass diese geometrischen Kunstgriffe mit der anerkannten Physik nicht in Einklang zu bringen sind und das Modell nicht realistisch verstanden werden kann.
Die Trennung der mathematischen Astronomie von der physikalischen Kosmologie erreicht mit Ptolemäus eine neue Qualität. Trotz der Einschränkungen hinsichtlich einer „vollen“ physikalischen Legitimation wurde das ptolemäische System auf Grund seiner überzeugenden Genauigkeit zum mathematischen bzw. geometrischen Standardmodell für eineinhalb Jahrtausende. Zudem waren die Überschneidungen der aristotelischen Naturphilosophie mit dem ptolemäischen Weltbild um ein Vielfaches größer als mit konkurrierenden Systemen wie z.B. dem Heliozentrismus von Aristarch von Samos (310 – 230 v. Chr.). Die Idee einer sich bewegenden Erde war aus vielen Gründen unplausibel (keine unterschiedliche Wurfweite, keine Winde, fehlende Fixsternparallaxe usw.).
Das aristotelisch-ptolemäische System wurde als Komplex zum vorherrschenden Weltbild mit je unterschiedlicher Gewichtung in Richtung Aristoteles (Kosmologie) oder Ptolemäus (Astronomie). Gleichwohl blieben die Widersprüche im Bewusstsein: Insbesondere in der islamischen Philosophie wurde fieberhaft daran gearbeitet, eine auf Aristoteles aufbauende physikalische Legitimation für das mathematische Modell des Ptolemäus zu finden.
Es wird bis zur Neuzeit dauern, bis – u.a. durch Galileo Galilei (1564-1642), Johannes Kepler (1571-1630) und Isaac Newton – eine neue Physik begründet ist und der Heliozentrismus mit Ellipsenbahnen Stand der Wissenschaft ist und Kosmologie und Astronomie vereinigt sind.
Das alles lässt sich u.a. in meinem Buch Heichele, Thomas: Die erkenntnistheoretische Rolle der Technik bei Leonardo da Vinci und Galileo Galilei im ideengeschichtlichen Kontext. Münster: Aschendorff 2016 nachlesen bzw. findet sich dort wesentlich ausführlicher.
Weitere Literaturtipps zu dem Thema: Audretsch, Jürgen; Mainzer, Klaus (Hrsg.): Vom Anfang der Welt. Wissenschaft, Philosophie, Religion, Mythos. 2. Aufl. München: C. H. Beck 1990; Böhme, Gernot (Hrsg.): Klassiker der Naturphilosophie. Von den Vorsokratikern bis zur Kopenhagener Schule. München: C. H. Beck 1989; Crombie, Alistair C.: Von Augustinus bis Galilei. Die Emanzipation der Naturwissenschaft. 2. unveränderte Aufl. Köln, Berlin: Kiepenheuer & Witsch 1965; Kanitscheider, Bernulf: Kosmologie. Geschichte und Systematik in philosophischer Perspektive. Stuttgart: Reclam 2002; Meyenn, Karl von (Hrsg.): Die Großen Physiker. Von Aristoteles bis Kelvin. Band 1. München: C. H. Beck 1997; Sticker, Bernhard: Bau und Bildung des Weltalls. Kosmologische Vorstellungen in Dokumenten aus zwei Jahrtausenden. Freiburg, Basel, Wien: Herder 1967; Waerden, Bartel Leendert van der: Die Astronomie der Griechen. Eine Einführung. Darmstadt: WBG 1988.
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